Einsicht

«Ach – wie habe ich es satt»
meinte einst ein grünes Blatt
«stets dem Lichte nachzurennen
Chlorophyll nur zu verbrennen …»

Da fasst der Regen es beim Schopf
und setzt ihm einen Wasser-Tropf
ganz sanft in seine Herzens-Mitte
und sagte leise zu ihm: «Bitte –

nimm ein Lexikon und lese
du brauchst das Licht für die Synthese
denn ohne mich und ohne Licht
steht hier geschrieben – gibt’s dich nicht!»

Das Blatt – erstarrt in grossem Schrecken
begann darauf «ZEIT» zu entdecken
und es lernte zu begreifen
nicht mehr zu rennen – nur zu reifen …

Verwandlung

Der Mensch
das ist jetzt nun mal so –
besteht fast nur
aus H-zwei-O

Drum wird er
wie ein jeder weiss
in kalten Zeiten
schnell zu Eis.

Doch selbst
ein eisig Zapfen-Sinnen
biegt sich
sehnsuchtsvoll nach innen

Damit es
dies ist doch sein Muss –
durch Wandlung
wieder kommt in Fluss ...

Frühling» – dachte der Kirschen-Kern –
und fächerte sich der Wärme entgegen ...

Ein Kirschen-Kern sah sich im Traum
als ausgewachsner Kirschen-Baum ...
Am andern Morgen aufgewacht
hat er dann folgendes gedacht:

«Zuallererst – und ohne Hast
form ich mir einen Kirschen-Ast»
Dann sah er, dass die Sonne schien
und legte sich zum Schläfchen hin ...

Und wieder sah er sich im Traum
als ausgewachsner Kirschen-Baum
Im Traum hat er sich sehr bemüht
und wachte auf – ganz aufgeblüht ...

Zopf-Assoziationen

Oftmals hängt ein schönes Zöpfchen
auch an einem schönen Köpfchen –
Doch dieses hier, man sieht’s und weiss,
hängt schlicht an einer Stange Mais. 

Ein Fotograf hat‘s so montiert
und hat, was folgt, dazu notiert:
«Der Mensch ist gut und ist auch schlecht
und jeder glaubt, er sehe recht –

Und was er sieht, was ihm passiert
wird auch im Köpfchen so fixiert.
So hängen in den Menschen-Köpfen
meist Bilder nur von alten Zöpfen. 

Wenn sie nun hier die Kolben köpfen
dann fällt das Bild – mit allen Zöpfen –
Doch leider gilt es zu begreifen:
Noch muss der Mais ein wenig reifen ...

Niederlag 

Rächt schwär für üs isch uhni Frag
ä jedi Form vu Niederlag –
Doch zeigt üs s’Läbä zur Belehrig:
Au d’Niederlag birgt Uferstehig …

Vernetzung

«All das Palaver um die Vernetzung ...»
sagt mir die Spinne und zieht sich zurück –
«meine zum Beispiel birgt auch Verletzung
ist für Mücken und Fliegen doch wirklich kein Glück»

Hoppla – denk ich, das Tierchen hat Pfiff
relativiert und ist keineswegs stur –
es vernetzt seine Welt mit meinem Begriff
und schläft durch die Kälte – denkt ganz, wie Natur

Die Welt sei ein Ganzes – lebendiges Wesen
vernetzt mit Bewusstsein, mit Seele und Stoff
So dachte Marc Aurel – durch Tschechov gelesen
Denken wir heute mal wieder zu schroff?

Weniges braucht es um Worte zu wandeln
Leben ist Fülle – und Sprach-Hülle leer
Wär’ Wandlung möglich vielleicht auch beim Handeln?
Spinnen wir Neues – und denken als Meer!

OIKOS – das HAUS-HALTEN

Sie haben die Denk-Fundamente gebaut
und uns ihre Wörter geliehen – wie:
«Oikos: Als Öko-Logie und -Nomie»
Wir haben die Wörter schlecht angeschaut
und bauten ganz ohne sie.

Wir bauten dann um – und wir bauten aus
und unser Lieblingswort war jetzt «schnell»
Wir bauten ein traumhaftes Karten-Haus
und leben darin – virtuell.

Wir haben die Fundamente ersetzt
und denken flexibel – wie Stahl –
Wir halten das Haus durch Gier fest besetzt
und küren zum Haus-Gott – die Zahl.

So haben wir uns von Natur nun befreit
sind nur noch im Denken gefangen –
Wir sind für die Zukunft jetzt wirklich bereit
für himmlischen Frieden und ir(r)dischen Streit
und müssen um OIKOS nicht bangen …